"Deadpool" – Antiheld, aber kein Anti-Superheldenfilm

Ich habe gerade "Deadpool" gesehen, die Verfilmung der Marvel-Comics um den "Merc with a mouth", dem dauerplappernden Antihelden. Mehr als alles andere hinterlässt der Film ein Gefühl der aggressiven Leere, eine Haltlosigkeit, die sich nicht einmal an Unzufriedenheit klammern mag.

Ein überraschender Plot ist weniger Anliegen des Films – Protagonist Wade Wilson wird auf brutale Weise zu Deadpool gemacht und dadurch zwar von seinem eigentlich unheilbaren Krebsleiden befreit, gleichzeitig aber hässlich wie die Nacht, und geht daher auf Rachefeldzug gegen seinen Schöpfer Ajax. Vielmehr verspricht "Deadpool" frischen Wind im Genre der Superheldenverfilmung, ein auf Ego Shooter-Niveau erhöhtes Gewaltlevel, selbstrefentielle Sprüche, ein dauerndes Durchbrechen der vierten Wand und weitere Ideen. Das ist alles technisch auf höchstem Niveau ungesetzt und tatsächlich finden sich im Film einige, wenige Einfälle, die über das eigene Wesen als Superheldenverfilmung hinausgehen mögen. Wenn etwa dem benommenen Deadpool gekrakelte Animationscharaktere ins Blickfeld springen, ist das ein filmischer Einfall, mit dem man dann doch nicht mehr gerechnet hat. Doch ansonsten hält sich die Verfilmung an vielfach bekannte Standardsequenzen, die man aus Superheldenverfilmungen und allgemein dem Actionfilm kennt, von der Begegnung mit dem Evil Scientist bis zur unvermeidlichen Verfolgungsjagd. Der Film mit dem Anti-Superhelden ist kein Anti-Superheldenfilm.

Man kann sich von "Deadpool" 109 Minuten das Hirn lüften lassen, der aktuelle Kinostandard in Sachen Blockbuster wird hier auch alles andere als unterschritten. Und ich weiss nicht, womit ich gerechnet hatte. Vielleicht damit, von den um Rücksicht auf Menschen befreiten, kathartische Lacher provozierenden Gewaltdarstellungen abgestoßen zu werden. Vielleicht mit doch einigen Einfällen mehr, die über das im Blockbuster-Kino immer weiter in den Vordergrund rückende Erwartbare, hinausweisen. Auch mit Enttäuschung. Was aber kam war – nichts, kein Mitgefühl für Charaktere, kein Gefühl des Mitgerissenseins mit der Handlung, kein Gefühl, gut unterhalten worden zu sein. Aber auch kein Gefühl, schlecht unterhalten worden zu sein. Dröhnende wie zuckerwattige Leere, die mich überrascht, wo ich mich doch gerne ab und an blockbustern lasse.

Derzeit lese ich Sean Howes Verlagsbiografie „Marvel Comics – The untold Story“ über das Auf und Ab des Hauses samt der Geschichte seiner Superhelden. Noch stecke ich Ende der 1960er, es wird also noch etwas dauern, bis Deadpool 1991 in "New Mutants #98" von Fabian Nicieza und Rob Liefield eingeführt wird. Was die Anziehungskraft der Marvel-Comics Anfang der 1960er auf die junge Leserschaft ausmachte, was das Neue an ihnen war, wurde aber schon beschrieben. Natürlich gab es auch hier die larger-than-life-Geschichten samt Ausflüge in den Weltraum, also schon aus anderen Comics bekannte Zutaten. Was Charaktere wie Spider-Man oder The Thing aber gegenüber ihren Zeitgenossen auszeichnete, war ihre Vielschichtigkeit: Sie hatten zum Teil ganz alltägliche Probleme und haderten mit ihrem Dasein. Figuren mit Tiefe. Das verband sich mit den im hochtrabenden Ton verfassten Texten Stan Lees, die wahrscheinlich schaumschlägerisch erschienen wären, hätten so geniale Zeichner wie Jack Kirby oder Steve Ditko nicht derart dynamische Bilder gefunden, die das mitunter aufdringliche Pathos im Text letztlich rechtfertigten. Diese Mischung war bisher ungesehen, sie lud zum Staunen ein. Da konnte das damalige Kino mit seinen begrenzten Mitteln nicht mithalten. Es ist die Abwesenheit dieses Staunens, die in "Deadpool" mehr also zuvor spürbar wird. Alle technischen Mittel stehen zur Verfügung, auch abwegigste Einstellungen und Sequenzen werden hier inszeniert, und wie der Abspann zeigt, arbeiteten hunderte Menschen daran, dass der Film ein technisches Spitzenprodukt wurde. Mehr dann auch nicht: ein kunsthandwerkliches Produkt, das als emotionale Reaktion nur temporäre Immersion in Actionsequenzen und vereinzelte Lachentladungen bei Peniswitzen und dreifachen Headshots bietet. Vom Comicheft der 1960er bis zur Verfilmung 2016 ist es ein langer Weg, Erzählungen und ihre technische Umsetzung haben sich geändert wie auch die wirtschaftlichen Umfelder ihrer Entstehung. Vielleicht ist es also falsch, beides direkt miteinander in Beziehung setzen zu wollen. Aber hey, ich möchte doch berührt werden – und die "Deadpool"-Verfilmung antwortet darauf nur mit einem Kalauer.

Und dann sitzt man, die Buchlektüre unterbrechend, mit einigen Comicheften im Café. Und hat Tränen im Augenwinkel, weil die Lebensgeschichte von John Porcellinos Katze Maisie in der aktuellen Ausgabe seines Comic-Zines „King-Cat Comics & Stories“, obwohl berechenbar und mit gradlinigstem Plot erzählt, doch so fundamental ergreift. Mit einfachstem Strich und wenigen Worten werden Charaktere nachvollziehbar inszeniert und alltägliche Situationen in all ihrer Flüchtigkeit wie auch ihrer erschütternden Allgemeingültigkeit festgehalten, dass man meint, den Autor mit der Lektüre auf persönlichste Art kennenzulernen. Diese Stärke haben Comics weiterhin: Ein Mensch, ein Stift, etwas Papier – mehr braucht es nicht, um emotional bewegende Geschichten zu erzählen. Natürlich braucht auch das Talent, aber keinen Mitarbeiterstab in Batallionsstärke. Wie „Deadpool“ vorführt, ist es auch die falsche Forderung an eine Multimillionen-Dollar-Entertainment-Produktion, Zuschauer wirklich zu bewegen, wenn aus merkantilem Interesse zwangsläufig der größte gemeinsame Nenner eines Massenpublikums gesucht wird. Mit stärkerer Betonung von Gewalt und Humor setzt der Film zwar eigene Akzente, mehr aber auch nicht.

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