"Kiss my Ass" – Hämorrhoiden im Focus

Zu den Comic-Allgemeinplätzen gehört, dass es in Japan Manga über ALLES gebe. Bei der schieren Menge der Veröffentlichungen glaubt man das gerne, wenn auch bisher wenige japanische Comics den Weg nach Deutschland geschafft haben, die abseits üblicher Genres angesiedelt sind. Schon 2003 ging beispielsweise der Start von "Manga Love Story" durch die Presse – ein Aufklärungs-Manga, warum auch nicht? Schon der erste Band entschied sich aber doch dafür, weniger aufzuklären, als zu inszenieren: Die Softporno-Elemente überlagerten das aufklärerisch Moment. Das stand dem Erfolg der Serie nicht im Weg, bis heute liegen 61 Bände der als "sexy, feucht und ziemlich lehrreich...!!" beworbenen Serie von Katsu Aki vor. Nun veröffentlicht Carlsen Takeshi Ohmis Zweiteiler "Kiss my Ass", der sich thematisch um Hämorrhoiden dreht. Das weckt natürlich das Interesse, ist es doch schwer vorstellbar, dass hier ähnlich verfahren wird wie bei "Manga Love Story".

Und tatsächlich gelingt Ohmi hier der Spagat zwischen High School-Komödie und Aufklärung recht gut, auch wenn die zum Teil haarsträubende Dramaturgie des vorliegenden ersten Teils den Manga weniger für Bestenlisten empfiehlt. Im Zentrum steht der Schüler Yakushiji, der unter Hämorrhoiden leidet. Wer das Thema aus dem Bekanntenkreis kennt – und es ist ja ein Thema, das man AUSSCHLIESSLICH aus dem Bekanntenkreis kennt – wird hier Vieles authentisch wiedergegeben werden. Wie man die eigene Körper- und Sitzhaltung anpasst, um wenig Druck auszuüben, wie man es vermeidet, schwer zu heben, welch höllischen Schmerz das Rektalleiden verursacht und die Scham, die mit all dem einhergeht. So laviert sich der Protagonist durch den Schulalltag, ängstlich, schmerzvoll und zu verschämt, um sich an einen Arzt zu wenden. Gut, dass seine Mitschülerin Miura sein Leiden erkennt und ihm helfen will, was der Gepeinigte zurückhaltend annimmt. Auch wenn Miura hervorhebt, dass sie später Ärztin werden will, wird bald klar, dass sie auch anderes Interesse an Yakushiji hat. Der wiederum schwärmt aber für seine Mitschülerin Komatsu – eine klassische Dreierkonstellation wird hier also entworfen, die mit der Krankheitsgeschichte immer weiter verwoben wird.

Wie Ohmi das Leiden inszeniert, Bilder für die Krankheit und ihre Behandlung findet, gehört zu den Stärken des Bandes. So werden in die Comic-Seiten immer wieder Schaubilder eingewoben, die Grundwissen anschaulich vermitteln, auf diesem Weg lernt man beispielsweise den Unterschied zwischen innenliegenden und äußerlichen Hämorrhoiden und bekommt gleich noch Analfissur und Analfistel erklärt. Letztlich hat der Band dabei nicht den Anspruch, medizinisches Fachwissen zu vermitteln, mit zu vielen Details hält man sich zurück, wodurch die Erklärpassagen – ein großer Vorteil – nicht den Lesefluss stören. Einige Feinheiten werden dann in einem Anhang noch einmal etwas ausführlicher erklärt. Wie in den Schaubildern wird auch in der eigentlichen Geschichte auf realistische Darstellung verzichtet und oftmals durch leichte Entfremdung oder Sinnbilder anschaulich genug vermittelt, worum es geht. So wird eine Hämorrhoide zu einer widerwillig schauenden Kugel in einer Falte – man weiß dann schon, worum es geht – und das Leiden zu einem immer wieder auftauchendem Dämon, mit dem es zu kämpfen gilt. Ohne dass hier parallel eine Fantasy-Handlung eröffnet wird, greift Ohmi desöfteren auf die Idee des Kampfes gegen diesen Dämon zurück und zeigt Yakushiji mal als Ritter und Miura als "Arschengel", die ihm beim Kampf hilft. In einem Konfliktmoment wird sie später auch zum "Analteufel", obwohl sie sich selbst superheldengleich als „Hand Gottes" sieht, die "der Welt den Hämorrhoidenschmerz nimmt". Ja, das sind grelle und überzogene Momente, aber in der turbulenten Welt von "Kiss my Ass" fügt sich das reibungslos ein. Denn die Komödie ist trotz vieler Tempowechsel rasant erzählt, zurückgenommene Momente bleiben die absolute Ausnahme. Auf der Strecke bleibt da die Dramaturgie: Miuras Interesse an Yakushijis Leiden erklärt sich aus ihrer Idee, selbst Ärztin werden zu wollen sowie aus ihren romantischen Gefühlen für ihn. Nun gut. Dass das eigentlich unbekannte Mädchen, Yakushiji bei einem ersten gemeinsamen Treffen gleich den Hintern eincremen will und dieser das auch noch machen lässt, wirkt dann doch mehr als irritierend. Ebenso, dass er ihr erlaubt, fortan täglich seinen Analbereich zu fotografieren, um die Heilung im Bild festzuhalten. Im Rahmen der stets auf 180 laufenden Handlung mag man das verständlich finden, wirklich nachvollziehbar macht das die Charaktere nicht. Zudem wird so eine Kollision zwischen greller Erzählweise und sehr weltlichem Leiden oftmals spürbar. Hinzu kommt noch eine hanebüchene Wendung zum Schluß des Bandes, die hier aber nicht gespoilert werden soll.

Ob sie intendiert sind, oder nicht, es gibt immer wieder auch Momente, in denen sich Takeshi Ohmis Darstellungen und Seitenlayouts als ironische Verweise auf andere Manga für Teenager lesen lassen. Die sexualisierte Darstellung von weiblichen Charakteren durch betonende Körperhaltungen und Kameraperspektiven ist aus vielen Serien bekannt. Auch Ohmi, der in seinen anderen Arbeiten zum Teil Hentai-Elemente einfließen lässt, ist das nicht fremd. In "Kiss my Ass" hält er sich mit Explizitem zwar zurück, verzichtet aber nicht auf eine Reihe von Ansichten gerade Miuras, die von der Handlung nicht verlangt werden: Da schaut die Kamera mal von Fußhöhe hoch und erlaubt einen kurzen Blick unter den Rock, ab und an wird ihr Po in den Bildmittelpunkt gerückt. Was aber sonst der erotischen Aufladung dient, verweist hier mehr auf das Thema des Bandes, das schmerzhafte Rektalleiden. Daraus möchte man nicht zu viel lesen, trotzdem wirken diese Darstellungen doch sanft subversiv, wie ein Verweis auf Erzählklischees und die Diskrepanz zwischen an die Fantasie appelierender Inszenierung und den Gegebenheiten der ganz realen Welt.

Dass "Kiss my Ass" über diese Gegebenheiten, also in diesem Fall Hämorrhoiden, so unaufgeregt und schamfrei aufklärt ohne dabei aufdringlich didaktisch zu werden, muss gelobt werden. Manch hanebüchene Handlungsdetails macht es dabei aber schwer, in der Mixtur aus aufgedrehter Highschool-Comedy, informativem Aufklärungs-Manga und ironischem Kommentar mehr als anregende Lektüre zu sehen.

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Abbildungen © Ohmi – Carlsen
Der Band wurde mir von Carlsen zur Verfügung gestellt.

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